Alt aber gut! Senioren als kaufkräftige Konsumenten. Was tun im Marketing?
Gastbeitrag von Mag. Erwin Hemetsberger, MBA
Dass westliche Gesellschaften zunehmend vergreisen ist eine Binsenweisheit, dass die Menschen nicht nur älter werden sondern auch länger gesund bleiben, darf auch als bekannt vorausgesetzt werden. Dass Senioren der Generation „Baby Boomer“ anders ticken als deren Eltern oder Großeltern, spricht sich allmählich herum. Und dass all dies Auswirkung auf die Gesellschaft an sich hat, liegt auf der Hand.
Die Volkswirtschaft und ihre Spieler – Staat, Unternehmen, Konsumenten, Verbände usw. bleiben davon natürlich nicht unberührt. Für das einzelne Unternehmen wiederum stellt sich die Frage, wie es mit dieser Entwicklung umzugehen hat, insbesondere in der Vermarktung seiner Produkte.
Nun gibt es eine Reihe von Literatur, die sich aus Marketingsicht diesem sozio-demographischen Phänomen widmet. Neben der Identifizierung von vermeintlichen oder echten Boombranchen speziell für die ältere Generation bzw. Tipps und Tricks betreffend die berühmten „4 P“ im Marketing Mix stößt man unweigerlich immer auch auf die Frage der Segmentierung im „Seniorenmarketing“.
Eines, keines oder viele. Wie viele Segmente braucht es und vor allem welche?
Nun, segmentiert kann immer dann werden, wenn es in einem Markt unterschiedlicheKonsumentengruppen gibt, die auch unterschiedlich bedient werden wollen.
Ökonomisch sinnvoll ist es dann zu segmentieren, wenn die jeweilige Zielgruppe mit ähnlichen Eigenschaften auch entsprechend groß ist oder Potential hat, um individuell angesprochen zu werden.
Psychologisch zweckmäßig ist eine Segmentierung, wenn eine Kundengruppe nicht mit der anderen in einen Topf geworfen werden will, aus welchen Gründen auch immer; und zwar selbst dann, wenn die Bedürfnisse identisch sind.
In den Erfurter Heften zum angewandten Marketing empfiehlt Virginia Krieg eine Segmentierung nach Altersdimensionen (z.B. gefühltes Alter), physiologischen Alterserscheinungen und psychologische Merkmalen. Diese Merkmale wiederum haben alle einen Einfluss auf das Freizeit-, Kauf- & Konsum- sowie das Mediennutzungsverhalten der Zielgruppe.1
In anderen Worten, welche oder wie oft der (reife) Konsument bestimmte Medien nutzt, wie, wo und was er einkauft und wie er mit den beiden wichtigsten Ressourcen im Alter – Zeit UND Geld – umgeht, hängt davon ab wie er sich fühlt, welchen Werten er nachhängt und nicht zuletzt, wie es objektiv um seine körperliche und geistige Gesundheit steht.
Natürlich findet man in der Literatur eine Menge anderer Segmentierungskriterien und daraus abgeleitet Segmente, die speziell den Teilmarkt der älteren Konsumenten einzugrenzen versuchen. Ich halte diese „Segmente von der Stange“ allesamt für zu beliebig oder aber nur für ausgewählte Märkte anwendbar wie auch in meinem Blog zum Thema Segmentierung nachzulesen ist.
Edwin E. Braatz beschreibt in seinem Buch die Kundengruppe der 50+ als ausgesprochen heterogen. Ich behaupte, sie ist genauso heterogen oder homogen wie die Altersgruppe der 50-. Es kommt immer auf die Branche und das Produkt an, welche Eigenschaften des potentiellen Kunden für eine Kaufentscheidung relevant sind. Aus diesem Grund halte ich auch eine Segmentierung nach Sinusmilieus etc. für überflüssig.
Viel hilfreicher ist als Ausgangsbasis folgende Unterteilung, die Oliver Gassmann & Gerrit Reepmeyervornehmen:
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Letzte Berufsphase
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Autonomes Rentenalter
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Verstärkte Gebrechlichkeit
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Abhängiges Rentenalter
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Denn diese Lebensphasen beeinflussen das (Konsum-) Verhalten der Zielgruppe 50+ insofern, als Sie Auswirkung auf die Ressourcen Zeit, verfügbares Einkommen, körperliche und geistige Gesundheit haben.
Am interessantesten ist für mich nach wie vor aber eine Segmentierung nach Entscheidungsverhalten wie sie der Psychologe Florian Bauer empfiehlt. Eine Vorgehensweise, wie übrigens ein gewisser Herr Rogers mit seiner „Diffusionstheorie“ schon vor mehr als 50 Jahren propagiert hat.
Die Gesellschaft wird älter, ja. Deswegen gelten nach wie vor die Regeln des strategischen und taktischen Marketings. Es verschieben sich Segmentgrößen- und grenzen und manchmal macht es Sinn sich anzusehen, ob ein Segment der 50+ nicht separat bearbeitet werden oder vielleicht sogar noch weiter unterteilt werden soll (Flotte 60er haben nun mal andere Bedürfnisse als hochbetagte Menschen).
Wenn man so will, ist alles erlaubt – von keiner einzigen Segmentierung bis deren vieler. Es hängt also ganz von der Branche und der Kundenstruktur ab. Und zwar mehr oder weniger unabhängig vom Alter.
Ein Praxisbeispiel folgt dann im nächsten Blogbeitrag.
1) In dem Zusammenhang sei auf eine aktuelle Wiener Studie verwiesen, die nachweist, dass bei älteren Menschen neben der körperlichen auch die kognitive (geistige Beweglichkeit) und mentale (Angst, Depressionen usw.) Gesundheit gesondert zu betrachten sind (Tageszeitung Der Standard).
Mag. Erwin Hemetsberger, MBA
ExCentric Consulting e.U.
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Email: erwin.hemetsberger@excentric.at
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